Rollenspiele (Susanne Heim)

Als Profi ins Psychose-Seminar? Bloß nicht!

Ein Virus geht um. Seit das T(rialog)-Syndrom im Juni 1994 beim Weltkongress für Soziale Psychiatrie für Furore gesorgt hat, sind landauf landab sogenannte Psychose-Seminare unter­schied­licher Ausprägung entstanden. Manche nennen sich auch Psychose-Forum oder einfach nur Trialog. Gemeinsam ist allen der Wunsch(traum), durch Begegnung auf gleicher Augenhöhe und gleichberechtigten Erfahrungsaustausch zwischen Psychiatrie-Erfahrenen, Angehörigen und professionellen Helfern die Psychiatrie zu infizieren, zu demokratisieren, ihre Sprachlosigkeit zu überwinden.

Glaubt man Thomas Bock, dem „Vater“ der Psychose-Seminare, dann bieten diese trialogischen Ver­anstaltungen, in denen jede/r als Experte in eigener Sache gilt, die beste Aus- und Fortbildung für alle im Bereich der Psychiatrie Tätigen. Eine „dreifache Supervision“ - und das in der Regel sogar gebührenfrei! Dabei ist doch allgemein bekannt: Was nichts kostet, taugt auch nichts...!

Na ja, so ganz ungeschoren kommen Profis nicht davon. Immerhin kostet sie die Teilnahme in der Regel unbezahlte Mußestunden und offenbar auch einigen Mut. Da wäre schon genau zu prüfen, ob sich die Investition denn lohnt. Schließlich ist man im Dienst den ganzen Tag mit psychisch Kranken und ihren Angehörigen zu Gange, das muss man sich in seiner knappen Freizeit nicht auch noch antun.

Also bescheidet sich die schweigende Mehrheit: Der Mainstream macht sich rar. Wer sich ins Psychose-Seminar verirrt, hält sich bedeckt – und zählt sich zur psychiatriekritischen Avantgarde, die tendenziell bereits partnerschaftlichen Umgang mit den Patienten pflegt. Unter Kollegen gelten diese Profis als „Gutmenschen und Querdenker“, „bunte Vögel“. Sie haben häufig berufliche „Identitäts­wechsel“ erlebt und nehmen in der Psychiatrie eine „eher marginale Stellung“ ein. Doch selbst sie betrachten sich als „Wanderer zwischen den Welten“ – das Psychose-Seminar als „Spielbein“, die Psychiatrie als „Standbein“. So jedenfalls erste Forschungsergebnisse aus einer empirisch-qualitativen Untersuchung, über die Andreas Becher und Manfred Zaumseil in dem kürzlich erschienenen Buch „Trialog praktisch“ berichten.*)

Verunsicherung nicht ausgeschlossen

Sie bestätigen auch: Professionelle Helfer, die sich ins Psychose-Seminar wagen, brauchen ein dickes Fell und ein gerüttelt Maß an Leidenslust. Denn sie müssen als Blitzableiter herhalten, als Sündenböcke für alle und alles, was in der Psychiatrie verpatzt wurde. Seien Sie also gewarnt! Zügeln Sie Ihren Übermut, falls Sie versehentlich neugierig werden! Halten Sie professionell Distanz! Dank der ständig zunehmenden Arbeitsbelastung ist es Ihnen doch ganz unmöglich, auch noch ein Psychose-Seminar zu besuchen. Schon gar nicht regelmäßig! Und was sollen Sie da? Über die Behandlung von Psychosen wissen Sie bestens Bescheid, was sollen Ihnen wahrnehmungsgestörte Patienten/Klienten da noch erzählen! Und von mäkelnden Angehörigen haben Sie eh genug.

Wieso sollten Sie sich als „Gleiche/r“ unter Gleichen in die trialogische Runde setzen? Wollen Sie sich etwa verunsichern lassen? Was für eine Rolle sollen Sie denn da spielen? Als Mensch? Von sich selbst erzählen? Gefühle, Unsicherheit, womöglich eigene Ängste offenbaren? Um Himmels willen! Da würden Sie ja angreifbar! Man macht sich doch nicht mit seinen Patienten/Klienten gemein. Wo bliebe da die professionelle Autorität! Bloß keine Blöße zeigen – schon gar nicht vor Kollegen. Das könnten die gegen Sie verwenden, würde Ihnen beruflich schaden, Probleme am Arbeitsplatz nach sich ziehen. Sich als Mensch zu outen ist für psychiatrisch Tätige entschieden zu gefährlich!

Auch die Sicherheit des begrenzten Blickwinkels sollten Sie keinesfalls aufgeben! Setzen Sie Ihre qualifizierte Profibrille niemals ab. Bleiben Sie beim ordnenden Indizieren, Diagnostizieren, Etikettieren. So lässt sich das Seelenchaos routiniert in Schach halten. Distanz wahren – es könnte am Ende ansteckend sein! Außerdem: Allein mit Zuhören und Nichtstun löst man bekanntlich keine Probleme! Nur wer von Negativsymptomen keine Ahnung hat, kann so etwas allen Ernstes als „passive Aktivität“ propagieren! Gut, wenn man im Psychose-Seminar einfach mal nur Mäuschen spielt, als stiller Beobachter ohne Verantwortung für irgendwen und irgendwas, dann mag sich vielleicht die eine oder andere neue Perspektive auftun. Aber haben Sie das nötig?

Hüten Sie sich vor Horizonterweiterung! Die könnte Ihr professionelles Weltbild ins Wanken bringen. Was soll aus Ihrem beruflichen Selbstverständnis werden, wenn sich Psychose-Erfahrene und Angehörige als ganz „normale“ Mitmenschen entpuppen? So normal, verschieden und jeweils einzigartig wie Sie selbst und Ihre Kollegen, Ihre Familie. Sie könnten womöglich entdecken, wie stark die Schwachen sind, wie viel Kreativität und Realitätsbezug sich in Verrücktheit äußert. „Unsinnige“ Wahnideen könnten nachvollziehbar werden, die Grenzen zwischen „krank“ und „gesund“ ver­schwimmen. Eindeutige Wahrheiten facettenreicher Wahrnehmung und Interpretation weichen.

Philosophieren statt informieren?

Nein, das würde ja alles noch komplizierter machen. Ihr Arbeitsalltag ist unübersichtlich und an­strengend genug. Klare Strukturen, Standards und Richtlinien sind unverzichtbar. Hier die Krankheitseinsichtigen, kooperativ und compliant: Da braucht man nicht groß zu diskutieren. Dort die Ver­weigerer: stur, verbohrt und für keine Einsicht zu gewinnen. Da läuft alles Reden ins Leere. Und mit den Angehörigen ist es nicht viel anders: Die einen pro und pflegeleicht. Die andern immer nur kontra und knatschig. Wie das dann im Psychose-Seminar abgeht, können Sie sich denken: Die Unzufriedenen sind bekanntlich immer am lautesten. Das lässt sich schon an der Themen-Liste ablesen - von „Psychopharmaka für immer?“ über „Psychose – Macht – Ohnmacht“ bis „Zwang und Gewalt in der Psychiatrie“. Wollen Sie sich auch noch in Ihrer kostbaren Freizeit mit notorischen Kritikastern auseinandersetzen, sich dauernd rechtfertigen müssen? Für alle Pannen, die nun mal passieren, den Kopf hinhalten?

Freilich, das gemeinsame Nachdenken – auch über Fragen wie „Psychose-Erfahrung: Bürde oder Bereicherung?“, „Grenzverletzung als Auslöser einer psychischen Erkrankung?“ oder „Selbstwert und Krise“ – könnte unversehens zum Philosophieren führen über das Menschsein an sich, über das urmenschliche Bedürfnis nach Verstehen und Verstandenwerden, Vertrauen und (Selbst-)Sicherheit, die Balance von Nähe und Distanz. Und am Ende stellt sich gar heraus: Die Konflikte, um die sich alles dreht, sind gar keine psychiatrischen Besonderheiten. Es handelt sich um ganz normale (zwischen-)menschliche Probleme, die im Bannkreis der Psychiatrie nur besonders heftig zutage treten und besonders virulent werden.

Nein, darauf sollten Sie sich nicht einlassen! Menschsein ist ja schön und gut. Aber im Beruf ist Ihre fachliche Kompetenz gefordert – nicht Ihr subjektives Erleben. Da müssen die Rollen klar definiert und erkennbar bleiben. Dass Sie wohlwollend partnerschaftlich mit Ihren Patienten/Klienten um­gehen, versteht sich von selbst. Das gehört zu Ihrer Professionalität wie der weiße Kittel und andere Berufskleidung. Aber gleiche Augenhöhe in einer therapeutischen Beziehung? Nein! Meiden Sie die spinnerten Psychose-Seminare. Bilden Sie sich lieber in Psychoedukation fort. Da geht es um objektive Information, die Hierarchie bleibt gewahrt, die Teilnehmer sind compliant interessiert, der Lernerfolg entsprechend garantiert – und alle sind zufrieden.

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*) J. Bombosch/H. Hansen / J. Blume (Hrsg.):
Trialog praktisch
Psychiatrie-Erfahrene, Angehörige und Professionelle
auf dem Weg zur demokratischen Psychiatrie
Paranus Verlag 2004